Die Rangliste der idiotischsten Deepfake-Motive auf Facebook
Wie sehr kann eine Masche ausschlachten, bis der letzte auf den Trichter kommt? Diese Frage ist unvermeidlich, wenn man Facebook öffnet. Dort hat die KI inzwischen die Weltherrschaft angetreten – zumindest, was die Herkunft der Bilder angeht. Gepostet wird der Unsinn von Menschen. Wenigstens vorerst noch.
Aber konkret: Vor drei Monaten habe ich dargelegt, wie Mark Zuckerbergs soziales Netzwerk zum KI-Misthaufen mutiert und Meta nichts dagegen unternimmt. Für mich stellte sich damals die Frage, ob die Leute mit der Zeit merken, dass sie veralbert werden – und beginnen, derlei Content zu meiden. Eine Möglichkeit, die Entwicklung quantitativ zu bestimmen, habe ich nicht. Aber natürlich kann ich mir ansehen, ob die einschlägigen Kanäle weiterhin derlei Postings veröffentlichen und ob sie noch Likes und Kommentare erhalten.
Gemessen an diesen Indizien ist das Resultat niederschmetternd. Die nachfolgenden Postings habe ich innerhalb eines halben Tages gesammelt. Sie haben allesamt Hunderte oder Tausende Likes. In den Kommentaren äussern Hunderte oder Tausende Leute moralische Unterstützung. Gelegentliche Anprangerungen als Deepfakes werden von der Mehrheit anscheinend geflissentlich ignoriert.
Also: Keine Ablehnung beim Zielpublikum. Das ermutigt die Macher dieser Deepfakes, auf den immergleichen Motiven herumzureiten. Hier meine persönliche Hitparade – wobei noch zu erwähnen wäre, dass ein Motiv oft in mehrere Kategorien passt. Ich habe die Zuordnung nicht nach wissenschaftlicher Strenge, sondern nach meinem persönlichen Abneigungsempfinden vorgenommen:
5) Kunsthandwerk auf Weltklasse-Niveau
Verkannte Künstler: Was die Leute mit ihren Händen erschaffen, ist zu schön, um wahr zu sein.
Schon hier fragen wir uns: Wie dick kann man auftragen, ohne dass Leute ins Grübeln kommen. Gut, vielleicht existiert tatsächlich ein Polizist, der seinen treuen tierischen Begleiter im überlebensgrossen Format malt – vermutlich, weil er im heldenhaften Kampf gegen das Verbrechen sein Leben liess. Doch das Karottenpferd? Come on!
Einschub: Wie John Oliver in einer Folge «Last Week Tonight» nachweist, gibt es für die Holzschnitzereien ein reales Vorbild. Das ist «Chainsaw Sculptor» (Motorsägen-Bildhauer) Michael Jones, dessen eindrückliche Kunst durch den KI-Müll erstens plagiiert und zweitens ins Lächerliche gezogen wird.
4) Weinen ob der kaltherzigen Welt
Selbstmitleid: Gute Menschen, die niemand liebt, beweinen ihr Schicksal.
Ja, jeder von uns weiss, dass das Leben manchmal zum Heulen ist. Unsere Partnerinnen, Eltern, Lehrerinnen, Chefs, Parteipräsidentinnen, Yogalehrer, Vereinsvorständinnen und Saufkumpane zeigen uns nicht immer die Wertschätzung, die angebracht wäre. Wir kriegen nicht die Anerkennung, die uns gopfertaminamal zustehen würde. Auch Geburtstage gehen mitunter vergessen und ja, Einsamkeit ist real und kann schmerzen.
Aber wer von uns würde sich in so einem Krisenfall Mitleid und Anteilnahme von Facebook holen wollen? Nein, das würde die Misere verschlimmern, und uns zum Eingeständnis zwingen, dass wir ganz unten angekommen sind. Trotzdem, damit es in diesem Blogpost einmal erwähnt wurde: Es ist schäbig, derlei Motive als echt auszugeben und fürs Engagement Farming die Empathie der KI-Unerfahrenen zu missbrauchen.
3) Diese feschen Bäuerinnen überall
Landleben-Kitsch: Auf Facebook ist das Bauernleben noch so schön, wie es niemals war.
Ja, zugegeben, mir wird das moderne Leben manchmal auch zu viel. Aber mich deswegen ins Mittelalter zurückzuwünschen, wo die Welt an der Dorfgrenze aufhörte, halte ich dennoch für zu engstirnig. Selbst wenn «Bauer sucht Frau» auf Facebook offensichtlich ein gelöstes Problem ist. In Mark Zuckerbergs künstlich überhaupt nicht intelligenter Scheinwellt stellt sich nur noch die Frage, wo all diese feschen Bäuerinnen Väter für ihre Kinder finden.
Bei diesen Bildern kommt mir der leise Verdacht, dass manche der likenden Leute sich vermutlich bewusst sind, auf eine erfundene Idylle zu blicken. Eskapismus ist nicht verboten und nichts Verwerfliches. Dennoch wäre es zu begrüssen, wenn uns die Klischees nicht gar so hart um die Ohren gehauen würden.
2) Heulen vor lauter Elternglück
Weinende Eltern: Zugegeben, der Mann in der Mitte hat sich noch einigermassen im Griff.
Diese Kategorie verwirrt mich im besonderen Mass. Bekanntlich sind Babys ein reales Phänomen, und Geburten finden tatsächlich statt. Es gibt auch genügend Leute, die direkt aus dem Gebärsaal das erste Foto posten. Warum zur Hebamme scheinen alle diese weinenden Papas in eine Marktlücke zu stossen?
Ich glaube, es liegt an der unterschwellig reaktionären Botschaft, die bei dieser Kategorie besonders deutlich spürbar ist: Wenn bei Punkt 3) das einfache Leben zelebriert wird, lautet hier die Forderung, der Fruchtbarkeit zu huldigen. Menschen, die sich vermehren, verdienen Respekt und Anerkennung. Es wird ein stockkonservatives Familienbild vermittelt, und kinderreiche Familien sind ein Merkmal von faschistoiden (oder meinetwegen stark autoritären, nationalistischen) Gesellschaften. Das Ehrenkreuz der Deutschen Mutter («Karnickelorden»), die Geburtenoffensive Mussolinis sind Ausprägungen davon.
Man könnte mir vorwerfen, zu viel in diese Bilder hineinzuinterpretieren. Aber gerade der rechtschaffene, bescheidene Polizist scheint mir ein klarer Fingerzeig zu sein, dass sich «die Richtigen» vermehren sollten.
Drei Detailbemerkungen: Wie bei Kategorie 4) und 5) sprengt das Betteln um Aufmerksamkeit jede Cringe-Skala. Wieder treffen wir auf einen Polizisten, dem einmal zu oft «ACAB!» zugerufen wurde. Und was zum heulenden Höllenhund ist ein «glückliches Dreiecksleben» (Beschreibung zum dritten Bild)?
1) Drillinge sind das absolute Minimum
Kinderschwemme: So viele Babys, und trotzdem sehen alle so ausgeschlafen aus.
Falls ihr mir bei Punkt 4) nicht geglaubt habt, dann kommt ihr bei Platz 1) nicht umhin, nochmals über meine These nachzudenken. Hier werden (wenngleich nur digital) Kinder gezeugt, dass jeder Versuch einer «Umvolkung» zum Scheitern verurteilt sein wird.
Auch hier sträuben sich einem die Nackenhaare ob der krummen Details in diesen Posts: Nein, man zählt das Alter auf den drei Kuchen von Drillingen nicht zusammen. Angesichts der Blumenkohlköpfe bei Bild drei muss man Klonen unterstellen. Und beim letzten Bild müsste der dringende Wunsch lauten, dass diese eine Riesenhand ein wenig schrumpfen möge.
Um zum Anfang zurückzukommen: Nein, der Sieg der Vernunft ist nicht absehbar. Das wird noch viel drastischer aus dem Ruder laufen. Ich bin gespannt, welche idiotischen Motive als nächstes die Runde machen.
Beitragsbild: So geht es mir die ganze Zeit auf Facebook (Andrea Piacquadio, Pexels-Lizenz).